Stefan 'Sterni' Mösch
Enrico der Verlierer
Eine Erzgebirgstragödie
10
Nach der für ihn so unheilvoll verlaufenen Geburtstagsfeier der Großmutter verkroch sich Enrico endgültig, von bösen Gedanken geplagt, in seinen Wohnkeller.
Damit schien Gerda durchaus einverstanden, denn auch sie war darum bemüht, ihrem Gatten möglichst aus dem Wege zu gehen, während Rolf immer häufiger bei ihr zu Besuch weilte, um sich um sie und die beiden Kinder zu kümmern.
Rolf war es auch, der nach einigen Tagen Enrico um eine vertrauliche Aussprache bat, welche dieser seinem guten alten Freund natürlich nicht verweigern konnte.
„Daß es mit euch beiden nicht mehr so recht klappt, das pfeifen ja bereits die Spatzen von den Dächern“, begann Rolf vorsichtig das Gespräch, das sich allerdings zu einem Monolog entwickeln sollte, da Enrico nicht die geringste Miene zeigte, sich daran zu beteiligen.
„Wenn ich mir anschaue, wie du hier unten in diesem Kellerloch haust und versauerst – ganz zu schweigen davon, daß du auch schon selbst fast wie eine Kellerassel aussiehst und allmählich zu stinken beginnst – dann wird mir immer klarer, daß für dich und deine Familie so schnell wie möglich eine für alle Seiten einvernehmliche Lösung gefunden werden muß.
Daß es mit dir und deiner Frau so nicht weitergehen kann, das hast du sicherlich auch schon selber begriffen.
Und ich – das muß ich dir so schonungslos gestehen – ich bin felsenfest davon überzeugt, daß eine vorübergehende Trennung für euch beide wirklich im Moment das beste wäre, wollt ihr euch euer zukünftiges Leben nicht zur Hölle machen.
Ich kenne die Weiber wahrlich zur Genüge, wie du ja selber weißt.
Wenn die einen erst mal gefressen haben, dann läßt sich dagegen mit Druck überhaupt nichts ausrichten.“
Hier machte Rolf eine bedeutungsvolle Pause, wohl auch in der Hoffnung, seinen Freund schließlich doch noch zu einer Stellungnahme zu bewegen.
Doch dieser schwieg sich weiter beharrlich aus.
Nur ein leichtes mürrisches Kopfnicken schien anzudeuten, daß er den von Rolf bis dahin vorgebrachten Argumenten durchaus folgen konnte.
„Das einzige, was euch in dieser verfahrenen Situation noch helfen kann, das ist die Zeit.
Die heilt ja bekanntlich alle Wunden.“
Und Enrico tröstend auf die Schulter klopfend, fügte Rolf nach einer kurzen verlegenen Pause hinzu, fast als wolle er sich bei ihm entschuldigen: „Ich werde mich einstweilen um deine Gerda und die Kinder kümmern, da mach‘ dir mal keine Sorgen.
Doch auch du solltest für deinen Teil versuchen, so gut wie möglich die vertrackte Sache durchzustehen.
Du kannst dabei natürlich wie immer auf meine selbstlose Hilfe rechnen.“
Da auch diesmal keinerlei Reaktion von Enricos Seite erfolgte, entschloß sich Rolf zu einem deutlich entschlosseneren Ton, um die peinliche Sache schnellstmöglich zu einem Ende zu bringen.
„So wie jetzt kann es mit dir keinesfalls weitergehen.
Das lasse ich nicht zu, daß du hier unten im Keller versauerst und dich damit zum Gespött der gesamten Nachbarschaft machst! Ich habe da einen Kollegen in der Neustadt, der nächste Woche in den Westen umzieht.
Der sucht dringend einen Nachmieter für seine kleine, wirklich gemütliche Wohnung.
Seine Wohnungseinrichtung kann er leider nicht mit nach drüben mitnehmen.
Die könntest du ohne einen Pfennig zu bezahlen gleich mit übernehmen.
Ist alles noch tipptopp, kannste mir als alten Umzugsspezialisten wirklich glauben. – Also, ich komme dann am nächsten Samstag mit meinem Lieferwagen bei dir vorbei, und fahr‘ dir deine paar Siebensachen rüber.
Bis dann, alter Kumpel, und laß' den Kopf nicht hängen.“
Danach stand Rolf abrupt auf und wandte sich der Kellertür zu.
Dort angelangt, drehte er sich noch einmal um, wühlte in seiner Brieftasche, holte einen zerknüllten Hundert-Euro-Geldschein heraus und legte ihn, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch des Kellerverlieses, an dem sich Enrico immer noch verdrossen lümmelte.
Dieser blieb jedoch wie betäubt sitzen und zeigte keinerlei Reaktion, bis Rolf mit eiligen Schritten den Raum verlassen hatte.
Wutentbrannt warf er nun den Geldschein in eine Ecke, schluchzte eine Weile, das Gesicht tief in die auf den Tisch gestützten Hände vergraben.
Schließlich stand er auf, hob den Schein vom Fußboden wieder auf, glättete ihn sorgfältig, holte seinen Einkaufsbeutel aus dem Spind und ging nach draußen, Getränke für den Abend einzukaufen.